Die Verschuldungskrise der EU-Staaten kommt in ein Stadium, in dem sie immer weniger beherrschbar ist. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat inzwischen Schuldtitel bankrotter Euro-Staaten in Höhe von 110 Milliarden Euro aufgekauft und dabei in Kauf genommen, die EU-Verträge zu verletzen. Außerdem haben die Regierungen der Euroländer zusammen mit dem
Internationalen Währungsfonds (IWF) und der EU-Kommission Finanzhilfen von insgesamt 1.200 Milliarden Euro gewährt.
Der Großteil dieser Mittel wird über die
Europäische Finanzstabilitätseinrichtung (European Financial Stability Facility (EFSF))bereitgestellt, die im Mai 2010 für die Dauer von drei Jahren eingerichtet wurde. Ihre Aufgabe ist es, an überschuldete Euro-Staaten Kredite zu vergeben, die diese auf dem freien Kapitalmarkt nicht mehr oder nur zu sehr hohen Zinsen erhalten würden. Die EFSF beschafft sich ihre Mittel durch die Emission von Anleihen, für die insbesonders die mit einem dreifachen A bewerteten Euroländer haften, obwohl sie diese Kredite gar nicht in Anspruch nehmen. Dadurch kann die EFSF ihre Kredite zu den niedrigen Zinsen aufnehmen, die Schuldner mit einem AAA-Rating zu zahlen haben.
Um diese erstklassige Bewertung nicht zu gefährden, haben die Regierungen der Euroländer kürzlich eine Erhöhung der Haftungssumme von 440 Milliarden Euro auf 780 Milliarden Euro beschlossen. Die EFSF soll aber nicht nur niedrig verzinsliche Kredite für überschuldete Euro-Staaten beschaffen, sondern auch für direkte Ankäufe von Staatsanleihen, Eingriffe zur Kursstabilisierung, Laufzeitverlängerung von Krediten und Vergabe von Notfallkrediten an gefährdete Banken zuständig sein.
Mit der Erhöhung der EFSF-Mittel steigt die von Deutschland zu garantierende Summe von 123 Milliarden Euro auf 211 Milliarden Euro. Zusammen mit der deutschen Beteiligung an der Hilfe für Griechenland vom Mai 2010 in Höhe von 110 Milliarden Euro und der indirekten Beteiligung an den Käufen der EZB von Staatsanleihen sowie an den Krediten der EU und des IWF beträgt das deutsche Haftungsvolumen zur Zeit 290 Milliarden Euro. Damit wurden dem deutschen Steuerzahler Garantiesummen aufgebürdet, die fast so hoch sind wie der gesamte Bundeshaushalt des Jahres 2011.
Ab Juni 2013 soll der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), der mit
diktatorischen Vollmachten ausgestattet ist, an die Stelle der EFSF treten. Sein Grundkapital wurde vorläufig auf 700 Milliarden Euro festgelegt, von denen vorerst 80 Milliarden Euro innerhalb von 5 Jahren bar einzuzahlen sind. Auf Deutschland entfallen dabei 22 Milliarden Euro Bareinzahlung, die bis 2017 erbracht werden muss. Sollte ein vom ESM gewährter Kredit uneinbringlich werden, reduziert sich das Grundkapital um diesen Betrag und muss daher von den Anteilseigner wieder aufgefüllt werden. Dadurch steigt das deutsche Gesamthaftungsvolumen auf über 310 Milliarden Euro.
Es ist zu bezweifeln, ob sich die Investoren auf den globalen Kapitalmärkten von diesen Rettungsaktivitäten dauerhaft beeindrucken lassen. Kurzfristig wird den Käufern von Staatsschuldtiteln suggeriert, dass sie erstklassige Wertpapiere ohne Risiko kaufen. Die EFSF kann deshalb ihre Anleihen zu Zinssätzen begeben, die gegenwärtig nur 0,8 Prozentpunkte über den Zinssätzen für Schuldner mit AAA-Rating liegen. Aber es ist fraglich, ob diese Risikoverschleierung von langer Dauer sein wird. Nur 6 der 17 Euroländer haben ein AAA-Rating. Es wird den Gläubigern bald bewusst werden, dass diese als erstklassig bewerteten Staaten die überschuldeten Länder nicht retten können, insbesonders auch deshalb, weil die wahre Finanzsituation der Retter viel schlechter ist, als es ihre Bewertung durch die Ratingagenturen ausdrückt. Auf die 6 am besten bewerteten Euroländer entfällt der größte Teil der gesamtschuldnerischen Haftung und wegen des damit verbundenen höheren Risikos werden ihre Refinanzierungskosten bald steigen. Das würde auch in Deutschland die Finanzlage dramatisch verschärfen, denn jeder Prozentpunkt Zinssteigung erhöht die Zinslast des Staates um 20 Milliarden Euro (Schulden des Bundes: 1.300 Milliarden, Länder: 600 Milliarden, Gemeinden: 130 Milliarden).
Die Risikoverschleierung durch EFSF und ESM kann nicht erfolgreich sein, denn auch der durchschnittliche Anleger wird bald begreifen, dass die chronischen Defizite der Staaten strukturelle Ursachen haben, die im Sozialstaat liegen. Dieser ist u. a. aus den folgenden Gründen nicht überlebensfähig:
- Globalisierung: Die Globalisierung bewirkt einen Faktorpreisausgleich auf den beteiligten Märkten, d. h. eine Angleichung der Preise, die für die Produktionsfaktoren Kapital, Arbeit und Boden gezahlt werden. Der Faktorpreisausgleich sorgt, über die Landesgrenzen hinweg, für eine Verringerung der Unterschiede in den Löhnen für gleiche Arbeit. Wenn in den Hochlohnländern die Gewerkschaften eine Korrektur der Löhne nach unten verhindern, dann entsteht Arbeitslosigkeit, Unternehmen gehen pleite und Kapital wandert in Länder mit günstigeren Bedingungen ab. Die internationale Angleichung der Löhne, die für eine jeweilige Qualifikationsstufe zu zahlen sind, läßt sich nicht verhindern, es sein denn, man schließt sich völlig vom Ausland ab. Es wird bei stagnierenden bis schrumpfenden Masseneinkommen immer schwieriger, die riesige Schuldenlast des Staates zu tragen.
- Bevölkerungsentwicklung: Die Bevölkerung schrumpft, gleichzeitig wird sie älter. Das macht die staatlichen umlagebasierten Sozialsysteme unfinanzierbar, denn es kommen zunehmend immer mehr Leistungsempfänger auf eine sinkende Zahl von Beitragszahlern.
- Dequalifizierung: Die von der politischen Klasse zugelassene massenhafte Einwanderung von Unqualifizierten belastet die Sozialkassen und verschlechtert die Wettbewerbsbedingungen der deutschen Wirtschaft. Die Verschlechterung des Humankapitals erschwert zunehmend die Erfüllung der Verpflichtungen aus den Staatsschulden.
Auch wenn die hoch verschuldeten Staaten einige Ausgabenkürzungen angekündigt haben, so hat sich doch an der Grundproblematik nichts verändert. Die Wettbewerbsfähigkeit der überschuldeten Staaten hat sich nicht verbessert, der Rückgang der Haushalts- und Zahlungsbilanzdefizite ist völlig unzureichend. Überall steigen die Staatsschulden. Die alten Schulden werden mit immer mehr neuen Schulden finanziert.
Die Inhaber von Staatschuldtiteln müssen erkennen, dass die gegenwärtigen Staaten die denkbar schlechtesten Schuldner sind. Es ist nicht zu erwarten, dass die Staatsschulden jemals vollständig zurückgezahlt werden. Vielmehr ist mit einer zumindest teilweisen Enteignung der Gläubiger des Staates zu rechnen. Allmählich werden sie begreifen müssen, dass das Geld, das sie dem Staat geliehen haben, kein wirklicher Kredit war, sondern eine Steuer.