Samstag, 14. Mai 2011

Antikapitalistische Kapitalisten

Nach der marxistischen Theorie haben die Unternehmer einen eindeutigen Klassenstandpunkt: sie wollen ihren Gewinn maximieren und sie verteidigen die Gesellschaftsordnung, der sie ihren Aufstieg verdanken. Die Marxisten irren sich hierin. Es wäre schön, wenn sie in diesem Fall recht hätten, aber die Praxis zeigt, dass das gesellschaftliche Sein auch bei den Unternehmern nicht das Bewusstsein bestimmt, sondern es ist eher umgekehrt.

Die Wirtschaftsgeschichte ist voll von Beispielen, in denen einzelne Unternehmer und sogar die Mehrzahl der Unternehmer gegen ihre eigenen Interessen handeln, indem sie die Ideologie ihrer Gegner übernehmen. Ein aktueller Beleg dafür ist das Verhalten der Vorstände der großen deutschen EVUs nach der Zwangsabschaltung von acht ihrer Kernkraftwerke. Obwohl der Ausfall eines KKWs seinem Betreiber pro Tag eine Million Euro kostet und das sogenannte Atom-Moratorium illegal ist (kein Beschluss durch das Parlament, Widerruf von erteilten Genehmigungen ohne triftigen Grund, Verstoss gegen Eigentumsrechte), hat nur der Vorstand von RWE die Nutzung der Kernenergie verteidigt, siehe: RWE Power klagt gegen Anordnungen zur einstweiligen Einstellung des Betriebs des Kraftwerks Biblis. Die Vorstände der drei anderen EVUs mit Kernkraftengagement haben sich dagegen der Regierungswillkür kampflos unterworfen, obwohl das Aktiengesetz von allen Vorstandsmitgliedern fordert, dass sie vorbehaltlos die Interessen ihres Unternehmens zu vertreten haben.

Der Verrat von Unternehmensinteressen ist ein internationales Phänomen, wie z. B. die U.S. Climate Action Partnership (USCAP) zeigt, eine Lobbyorganisation von Konzernen und Ökokampfverbänden, "that have come together to call on the federal government to quickly enact strong national legislation to require significant reductions of greenhouse gas emissions." Die USCAP gehört zu den eifrigsten Befürwortern eines Emissionshandelssystems in den USA und hat für dieses Ziel schon viele Millionen Dollar ausgegeben. Wenn man sich die Mitgliederliste dieser unheiligen Allianz ansieht, erkennt man viele Unternehmen, bei denen ein kurzsichtiges rent seeking im Vordergrund stehen dürfte. Aber es gibt auch Fälle, bei denen die Mitgliedschaft geradezu suizidal ist. Welches Interesse kann z. B. das energieintensive Industrieunternehmen Alcoa, "the world’s leading producer and manager of primary aluminum, fabricated aluminum and alumina facilities", an der Verteuerung von Energie haben?

In der Ökonomie wird darüber diskutiert, ob ein derartiges Fehlverhalten von Konzernspitzen darauf zurückzuführen ist, dass die Topmanager auch nur Angestellte und nicht Eigentümer des Unternehmens sind, dessen Interessen sie verraten. Bei dem Principal-Agent Problem geht es darum, wie ein Auftraggeber (Eigentümer) seine Angestellten dazu bringen kann, im Falle eines Interessenkonflikts seine Interessen und nicht die ihren zu vertreten. Die folgende Grafik veranschaulicht die Problemstellung (Quelle):



Es gibt keine einfache und bewährte Lösung des Problems. Demzufolge ist es nicht überraschend, dass in der Praxis die unterschiedlichsten Verhaltensweisen anzutreffen sind. Besonders ausgeprägt ist dies in den Betriebsabteilungen, die direkten Kontakt mit Behörden und Politikern haben. Da der alles regulierende Staat für die Unternehmen immer wichtiger wird, ist es von entscheidender Bedeutung, die unzähligen Gesetze, Verordnung und Bestimmungen möglichst umfassend zu kennen und ihre Gestaltung zu beeinflussen. Das ist eine schwierige Aufgabe, zu deren Lösung man viel Erfahrung benötigt. Fred Smith bemerkt dazu in seinem Artikel The Political Principal/Agent Problem: "Not surprisingly, firms often recruit personnel to handle this task from the same government agencies or congressional committees that create and oversee these laws. Those individuals are often unfamiliar with the activities or culture of the firm. Government affairs units within most firms actually benefit from greater government intervention in the economy. They have grown steadily as government regulations have increased. Thus, ... they have no direct interest in the repeal of such policies."

Das Problem wird verschärft, wenn die Angestellten der Abteilungen mit politischem Bezug weiterhin Kontakt mit ihren ehemaligen Kollegen im Regierungsapparat haben. Man trifft sich auch regelmäßig mit NGO-Aktivisten und Politikern, die ebenfalls keine Sympathie für das Unternehmen und sein wirtschaftliches Umfeld haben. Auf diese Weise behalten die Leiter der politisch relevanten Abteilungen ihre kulturellen Vorurteile und sie identifizieren sich mehr mit ihren alten Bezugsgruppen als mit ihrem neuen kapitalistischen Arbeitgeber. Fred Smith stellt dazu fest: "The incentives motivating those managing such political affairs sub-units can be counterproductive to the overall profitability of the firm. The challenge of management is to find ways to adjust those natural biases to improve overall performance." Gerade in dieser Hinsicht versagt das Top-Management häufig, da es vor einer offenen politischen Positionierung zurückschreckt. Statt klare Richtlinien vorzugeben, delegieren die Unternehmensführer immer mehr politische Kompetenzen an die government affairs subunit managers, mit den bekannten Folgen.

Die drei großen österreichischen Ökonomen Ludwig von Mises, Friedrich von Hayek und Joseph Schumpeter haben sich ebenfalls intensiv mit dem Problem irrationalen Verhaltens von Unternehmern beschäftigt. (Bildquelle)



Wir beschränken uns hier auf einige treffende Beobachtungen von Joseph Schumpeter (Quelle: Capitalism, Socialism, and Democracy, third edition 1950):


  • "A genius in the business office may be, and often is, utterly unable outside of it to say boo to a goose - both in the drawing room and on the platform. Knowing this he wants to be left alone and to leave politics alone." (Quelle: op. cit., Seite 138)

  • "... the very characteristic manner in which ... the bourgeoisie as a whole behave when facing direct attack. They talk and plead - or hire people to do it for them; they snatch at every chance of compromise; they are ever ready to give in; they never put up a fight under the flag of their own ideals and interests." (Quelle: op. cit., Seite 161)

  • "But without protection by some non-bourgeois group, the bourgeoisie is politically helpless and unable not only to lead its nation but even to take care of its particular class interest. Which amounts to saying that it needs a master." (Quelle: op. cit., Seite 138)

  • "... the mass of people never develops definite opinions on its own initiative. Still less is it able to articulate them and to turn them into consistent attitudes and actions. All it can do is to follow or refuse to follow such group leadership as may offer itself." (Quelle: op. cit., Seite 145)


Schumpeter zog aus der politischen Unfähigkeit der Unternehmerschaft den Schluss, dass der Kapitalismus akut bedroht sei. Da das Bürgertum zur politischen Führung nicht in der Lage ist, übernehmen andere Gruppen, die den erforderlichen Willen zur Macht besitzen, diese Aufgabe.

Die Techniken zur Beeinflussung und Lenkung des modernen Massenmenschen sind im vergangenen Jahrhundert perfektioniert worden. Einer der Pioniere dieser wissenschaftlich begründeten Technik der Meinungsformung war Edward Bernays. In seinem 1928 publizierten Buch Propaganda erklärt er die Methoden, mit denen es möglich ist, "die Massen, ohne deren Wissen, nach unserem Willen zu kontrollieren und zu steuern". Die ersten Sätze dieses Buches lauten:

"Die bewusste und zielgerichtete Manipulation der etablierten Gewohnheiten und Meinungen der Massen ist ein wichtiger Bestandteil demokratischer Gesellschaften. Diejenigen, welche die verborgenen gesellschaftlichen Abläufe manipulieren, bilden eine unsichtbare Regierung, die der wahre Herrscher unseres Landes ist. Zum größten Teil werden wir geleitet, unser Verstand geformt, unsere Geschmäcker gestaltet, unsere Vorstellungen suggeriert, von Menschen, die uns unbekannt sind. ... Unsere unsichtbaren Herrscher kennen sich untereinander meist nicht mit Namen. Sie beherrschen uns wegen ihrer angeborenen Führungsqualitäten, ihrer Fähigkeit, die benötigten Ideen zu geben, und aufgrund der Schlüsselpositionen, die sie in der Gesellschaft einnehmen. Ob es uns gefällt oder nicht, Tatsache ist, dass wir in fast allen Aspekten des täglichen Lebens, ob in Politik oder Wirtschaft, unserem Sozialverhalten oder unseren ethischen Einstellungen, von ... relativ wenigen Personen beherrscht werden, die die geistigen Prozesse und sozialen Verhaltensmuster der Massen verstehen. Sie steuern das öffentliche Bewusstsein, sie machen sich die alten sozialen Kräfte nutzbar und ersinnen neue Wege, um die Welt zusammenzuhalten und zu führen."

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