Montag, 14. Februar 2011

Sündenböcke in Ägypten und Tunesien

Die meisten Menschen gingen auf die Straßen, weil sie für ihre verschlechterte wirtschaftliche Lage die jeweiligen Regierungen verantwortlich machten. Diese Schuldzuweisung ist aber nicht gerechtfertigt, wie ein Blick auf die makroökonomischen Daten zeigt. Während der Regierungszeit der gerade gestürzten Präsidenten erreichten die beiden Länder ein beachtliches Wirtschaftswachstum. In Tunesien wuchs die Wirtschaft von 2005 bis 2008 um jährlich 6%, im weltwirtschaftlich bedingten Rezessionsjahr 2009 immerhin noch um 3%. Das Wachstum der ägyptischen Volkswirtschaft war in etwa gleich groß. Das ist eine mehr als zehn Mal höhere Wachstumsrate als wir sie in Deutschland zustande bringen, wo das BIP von 2005 bis 2009 jahresdurchschnittlich um 0,43% stieg.

Die soeben davongejagten Regierungen haben einige wirtschaftspolitische Fehler zu verantworten, wie zu hoher Staatsanteil an der Wirtschaft in Ägypten oder Außenhandelsmonopole für einige Nahrungsmittel in Tunesien, aber die jetzt verteufelten Herrscher haben auch einiges richtig gemacht. Die Regierung Mubarak hat die Körperschafts- und Einkommenssteuer deutlich gesenkt, eine fühlbare Entbürokratisierung durchgesetzt, einen Markt für Hypothekarkredite geschaffen und die Günstlingswirtschaft im Bankwesen eingeschränkt. Das wurde von ausländischen Investoren anerkannt, deren Direktinvestitionen die ägyptische Wirtschaft in den vergangenen Jahren gestärkt haben. Besonders profitiert haben die Textil-, Bekleidungs- und Nahrungsmittelindustrie sowie der Tourismus. Jedes Jahr reisten mehr als 12,5 Millionen ausländische Urlauber nach Ägypten.

Tunesien hatte bisher über 7 Millionen ausländische Besucher pro Jahr. Das Weltwirtschaftsforum sieht in seinem Global Competitiveness Index 2010–2011 Tunesien unter 139 analysierten Ländern auf Platz 32, vor Tschechien (36), Polen (39), Spanien (42) und Italien (48). Danach ist Tunesien das wettbewerbsfähigste Land Afrikas. Ägypten kommt in diesem Wettbewerbsfähigkeitsranking nur auf Platz 81, liegt damit aber immer noch vor Griechenland (83), Albanien (88) oder Ukraine (89). "Der für die vergleichende Analyse der Wettbewerbsfähigkeit eines Landes relevante Global Development Index untersucht unter anderem die Bereiche Institutionen, Infrastruktur, makroökonomische Rahmenbedingungen, Gesundheit und Ausbildung sowie die Effizienz des Arbeits- und Gütermarktes und Innovationsfähigkeit. Mit dem 7. Platz schneidet Tunesien besonders gut bei der Verfügbarkeit von Forschern und Ingenieuren ab. Ganz erstaunlich ist das Ergebnis nicht, wenn man bedenkt, dass Tunesien 7% seines Bruttoinlandsproduktes für die Bildung verwendet und 1,2% für Forschung und Entwicklung." (Quelle: Länder-Ranking bestätigt hohe Wettbewerbsfähigkeit). Es ist schwer vorstellbar, dass neue Regierungen diese Zahlen übertreffen könnten.

Warum dann die weit verbreitete Unzufriedenheit mit den alten Machthabern? Es gibt dafür zwei Gründe:

  1. Hohes Bevölkerungswachstum. Die Bevölkerung in den arabischen Ländern wächst schon seit langem außerordentlich stark. Der jährliche Zuwachs an Menschen von 2000 bis 2008 betrug in Ägypten 1,9% und in Tunesien 0,9%, siehe dazu: Bevölkerungswachstum bremst Erfolge. Unter diesen Umständen merkt der einzelne Bürger wenig bis nichts vom Wirtschaftswachstum. Besonders die junge Generation ist davon betroffen. In Ägypten sind 53% der Einwohner jünger als 25 Jahre. Jede Regierung muss daran scheitern, für diese Menschenmassen innerhalb kurzer Zeit produktive Arbeitsplätze zu schaffen.

  2. Nahrungsmittelmangel durch Biotreibstoffe. Die arabischen Staaten sind in hohem Maße abhängig von Nahrungsmittelimporten, die sich in den letzten beiden Jahren stark verteuert haben. Der Hauptgrund dafür ist die in den Nahrungsmittelexportländern gesetzlich erzwungene und hoch subventionierte Produktion von Biotreibstoffen auf Anbauflächen, die vor kurzem noch für die Herstellung von Nahrungsmitteln genutzt wurden. In den folgenden Abschnitten wollen wir näher auf dieses Problem eingehen, das ebenfalls nicht den gestürzten Regierungen angelastet werden kann.


Ägypten muss mehr als die Hälfte seiner Nahrungsmittel importieren. So kommen z. B. 80% der dort verbrauchten Maismenge aus den USA (Quelle: Egypt's unrest tied to high food prices [1]). Deshalb hat es unmittelbare Auswirkungen auf Ägypten und z. B. auch Tunesien, dass in den USA ein Drittel der Maisernte zur Produktion von Ethanol genutzt wird, das auf Grund gesetzlicher Bestimmungen dem Auto-Treibstoff beigemischt werden muss (Quelle: Egypt and Tunisia usher in the new era of global food revolutions [2]). Es trifft viele Entwicklungsländer hart, dass auf Druck der Grünen und der Bauernlobby so viele Anbauflächen der Nahrungsmittelproduktion entzogen wurden. Diese Verknappung des Angebots ist die Hauptursache der großen Preissteigerungen im Nahrungsmittelmarkt. "The UN’s Food and Agriculture Organization (FAO) said its global food index has surpassed the all-time high of 2008, both in nominal and real terms." [2] Das bedeutet für die wichtigsten Produktgruppen: "Wheat prices have risen by more than 70 per cent over the past 12 months, and corn prices climbed in mid-January to their highest level since July 2008, a period when global food prices soared." [1]

Ein Börseninsider stellt fest: "It is food inflation that is ultimately breaking the back of the Mubarak regime. ... Staples like meat, sugar and vegetables have been climbing out of the reach of the ordinary Egyptian for a year." (Quelle: Egypt Woes Bring Global Food Inflation Fears to Fore). Warum das so ist, verdeutlicht die folgende Grafik:



Die Grafik zeigt die Ausgabenarten in Prozent des Einkommens des durchschnittlichen ägyptischen Verbrauchers. Wenn im Durchschnitt ein Ägypter mehr als 40% seiner Ausgaben für Nahrungsmittel aufwenden muss, dann ist davon auszugehen, dass die unterste Einkommensgruppe in den Städten ca. 80% ihres Einkommens für Ernährung aufwenden muss. Bereits im vergangenen November warnte der ägyptische Ökonom Hamdi Abdel-Azim: "If the rise in food costs persists, there will be an explosion of popular anger against the government." [1]

Das ist nun eingetreten und der Grund dafür liegt weniger in der Verantwortung der gestürzten Regierungen, als in der grünen Energiepolitik der Staaten Nordamerikas und der EU. "Obama has been an avid supporter of ethanol subsidies, with close links to the ethanol lobby, unlike Obama’s 2008 opponent, John McCain, who opposed ethanol subsidies. The Obama Administration has pushed ethanol mandates, even though they have a history of helping spawn famines and food riots overseas." (Quelle: Are our biofuel mandates fueling Islamic extremism in Egypt?).

Eine Tankfüllung Ethanol enthält so viele Kalorien, wie ein Erwachsener während eines ganzen Jahres benötigt. Die Produktion von Biotreibstoffen macht nicht nur Benzin teurer und schmutziger, fördert nicht nur die Entwaldung, Bodenerosion, Wasser- und Luftverschmutzung, sondern ist auch und vor allem ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

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